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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 6


KINO: MACHT ANATOMIE II HOLLYWOOD ZUR SCHNECKE?

LIEBER DR. PILLERMANN oder DÜMMER GEHT’S NÜMMER: Zu ANATOMIE I, II und folgende

War Anatomie I schon bescheuert, so hat Nr. II noch einen draufgesetzt, und das ist wirklich eine erstaunliche Leistung, allerdings die einzige dieses Films. Derart unfaßbaren Schwachsinn überhaupt zu erwähnen, lohnt sich nur deshalb, weil die Medien im Lande ANATOMIE zur deutschen Antwort auf Hollywood-Horror, speziell in der Disziplin ’medical horror‘ hochgeklatscht haben. Das haben wir natürlich nachgeprüft, aber wer sich an ’Koma‘ erinnert, wer ’Nachtwache‘ oder nur zehn Minuten von ’Emergency Room‘ gesehen hat, der weiß, wie peinlich der Vergleich für das deutsche Machwerk ausfallen muß. Schon die Handlung könnte dämlicher kaum sein, das gilt besonders für den Antihippokratenkappes, sowas fällt nur hiesigen Filmschaffenden ein.

Die sogenannten ’Macher‘ dieses Streifens haben Ärzte und das Geschehen in Krankenhäusern offenbar nur in der Schwarzwaldklinik erlebt, der Mutter aller Arztserien von ARD bis ZDF. Die Schauspieler führen sich wie Frühpubertanten auf, die beim Doktorspiel erwischt wurden, fuchteln herum wie Aushilfsbademeister, bewegen sich wie Kleiderständer aus Versandhauskatalogen für Berufskluft.

Die Dialoge übertreffen an Plattheit jede RTL-Groteske - hat etwa der Ghostwriter von Dieter Bohlen das Drehbuch verübt? Franka Potente beweist erneut, wie gnadenlos überschätzt ihre schauspielerischen Fähigkeiten schon immer waren, und daß Heike Makatsch, eine an sich sympathische, nicht unbegabte Person, sich für diesen Quatsch hergegeben hat, bedauern wir zutiefst.

Wie gesagt, die Sache wäre der Rede nicht wert, wäre da nicht dieser Auch-so-sein-woll-wie-Hollywood-Knacks. Das Übelste am deutschen Film, ist die notorisch fehlende Professionalität, das betont Ungekonnte, die an den Haaren herbeigezogenen, garantiert realitätsfernen Handlungen, diese aalglatten Fernsehfarben, die glanzlackierten, hygienisch korrekten Schauplätze, diese plastinierten Schauspieler, spastisch wie Laiendarsteller in Sprache und Bewegung, das Bundeseinheitsgesicht, die Ohnesorgmoral, die Kameraführung: parkinsonoide Maskenstarre oder grobschlächtiger Tremor, Emotionen immer überzogen, Tortenschlachtkomik oder Oberlehrerernst, an jedem Arsch ein Zeigefinger, Liebe aseptisch oder Tuntensex, Gabelstaplerdialoge, jede Szene ein tiefgefrorenes Klischee, dieses Schielen von der Leinwand nach dem Zuschauer um Einverständnis buhlend, diese Gier nach Inge-Meisel-Harmonie mit dem Volksganzen, zugleich den Zuschauer zum Idioten machend. Diese Unfähigkeit zum wirklich Bösen, stattdessen Albernheit, Gekecker. Das wirklich Böse, das wäre ja was, aber es müßte dann perfide sein, durchtrieben, kalt, ohne Moral, alles mögliche, nur nicht ’antihippokratisch‘. Sowas gibt‘s nur in studentischen Verbindungen und bei Logenbrüdern ab 2,5 Promille aufwärts.

Und bitte, glauben Sie nicht, das wäre Zufall, ist es nicht, es gab ja auch bessere Zeiten. Das Unprofessionelle des deutschen Films ist gewollt, da steckt System drin, ein Programm. Ideologien aus den angefaulten 70-er Jahren überwintern da, der ganze verstaubte Haß auf gut gemachte und kommerziell erfolgreiche Unterhaltungskunst als kapitalistisches Quietiv. Weil Hollywood professionell ist, weil jedes B-Picture gekonnter ist als der gesammelte Strunz von Doris Dörrie, Tom Tykwer et al., weil Amerika der Feind ist und Frankreich sich dem deutschen Niveau gebeugt hat, und auf italienischen Leinwänden nur noch Roberto Benigni zappelt.

ANATOMIE bekräftigt die deutsche Filminferiorität aufs gruseligste.

Lubitsch, Sternberg, Marlene und ihr anderen alle, wo seid ihr?


Sabine Sense-Sähbelmann




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